Testfahrt F015: jene Nacht, als mich der Mercedes der Zukunft vom Hotel abholte

Die Nächte in Vegas sind lang. Nicht Pool-Parties und Champagner, sondern Artikel und Espresso führten zu einem erheblichen Schlafdefizit auf der Consumer Electronics Show 2015. So wankte ich dann recht lustlos aus dem Hotel und da stand er: ein Riese von einem Auto namens F015. Mit satten fünf Metern Länge schließt der neue Mercedes locker zu Maybach auf und präsentiert sich auch entsprechend gediegen. Zwei mächtige Salontüren schlagen zur Seite und geben ein Interieur frei, das du sonst eher in einem Privatjet erwarten würdest.

Der F015: mobile Suite mit Computer-Chaufferin 

Mercedes F015_01

„Guten Abend. Möchten Sie selbst fahren oder darf ich meine Dienste anbieten?“ fragt eine freundliche Frauenstimme. Dabei leuchten die LED-Leisten an den schneeweißen Nappa-Leder-Sitzen blau auf und du fühlst dich das erste Mal wie in Knight Rider. Du weißt schon diesem schwarzen, sprechenden Auto mit David „I Feel Looking For Freedom“ Hasselhoff an Bord. Die Sessel gehen in einer Rundung nach oben, so wie du das vielleicht von Designermöbeln kennst. Nach einem langen, stressigen Messetag und natürlich auch aus purer Neugierde an der Mercedes-Robotik nehme ich also den Service an. „Vielen Dank, ich übernehme diese Fahrt“ meint die Roboter-Lady. „Darf ich Ihnen eine bequemere Sitzhaltung einrichten?“ lautet die nächste Frage. „Ja, aber immer gerne doch“, lautet meine Antwort.

Natürlich lässt sich alles auch über das sehr breite Touch-Interface des Hauptdisplays regulieren. Der Sitz jedenfalls fährt auf einer Art Schiene leicht nach hinten und dreht sich langsam um, während die zwei E-Motoren mit zusammen 272 PS lossurren. Der F015 beschleunigt in 6,7 Sekunden von 0 auf 100, richtig schnell ist er allerdings nicht. Bei 200 km/h Spitze soll laut Mercedes bereits Schluss sein, Luxus und Gelassenheit stehen schließlich im Mittelpunkt. Das bereits funktionierende Konzeptauto ist 5,20 Meter lang, 2 Meter breit und 1,53 Meter hoch. Wie in der Business Class im Flugzeug kannst du den Sitz in eine eher liegende Position stellen oder direkt gegenüber den Passagiersitzen. Bei fast schon irrwitzigen 3,60 Meter Radstand ergibt sich eine kleine, ebene Lounge. Eine Konferenz mit vier Teilnehmern wäre also durchaus möglich, während das Auto selbst fährt. In die vier Saloon-Türen sind jeweils Touch-Displays eingebaut, um auf die Multimedia-Funktionen, Sitzerwärmung, Klima-Anlage und andere bekannte Komforts zuzugreifen. Anbindungen an Social-Media wie Facebook, Twitter oder Foto-Plattformen sowie Telefonie und E-Mail verstehen sich von selbst.

Lichtstimmung per Gesten ändern und Laser-Scanner Marke K.I.T.T.

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Außerdem können Sie die Lichtstimmung ändern, ähnlich wie bei Philips Hue-Birnen. Der Innenraum strahlt dann ein leichtes Blau oder Orange aus, das auch von den LED-Leisten in den Aluminiumschalen-Sitzen reflektiert wird. Im Auto sind mehrere Sensoren eingebaut, die Handzeichen erkennen und auf Klatschen das Licht löschen. Generell soll die Technologie laut Mercedes nicht zu dominierend sein und störend wirken, die Touchscreens sind daher elegant in das Leder-Interieur eingebaut und sollen bei Sonneneinstrahlung nicht spiegeln.

Ansonsten ist das Design voll auf Fluss getrimmt. Es gibt keine Ecken und Kanten, stattdessen geht der Motorblock stufenlos über die Frontscheibe in einer Welle bis zum Heck durch. Am Front-Grill und Heck wird’s dann richtig futuristisch. Bei Nacht aktivieren sich je vorne und hinten Laser-Scanner. Fährt Ihnen jemand zu dicht auf, wird in einem LED-Display am Heck ein „Please SLOW DOWN“ eingeblendet – bitte fahren Sie langsamer. Unklar ist allerdings aktuell, wie viel davon heute schon funktioniert und wie viel Show ist. So ist das Ausstellermodell im Showroom noch nicht in der Lage, Passanten zu erkennen und ihnen mit seiner LED-Reihenfolge per Sensorik zu folgen. In der Pressekonferenz hingegen wurde diese Funktion bereits gezeigt. Eine Frau stand seitlich am Auto, das F 015 forderte sie freundlich auf, zu passieren und folgte Ihren Schritten mit seinen LEDs. Sobald sie auf der anderen Seite stand, leuchteten die rundlichen LEDs der Kühlerhaube auf und das Auto sagte „Thank You“ – Dankeschön. Das F015 ist offensichtlich so höflich wie K.I.T.T.

Wie viel ist Show und wie viel Realität?

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Das F 015 fuhr auf der CES mit Dieter Zetsche, CEO von Mercedes, sowie Journalisten bereits den ganzen langen Las Vegas Boulevard herunter. Theoretisch passierte das im normalen Verkehr, allerdings wurde das Auto von zahlreichen Einsatzfahrzeugen des Las Vegas Police Departments eskortiert und fuhr nur auf einer Straßenseite gerade aus. Abbiegen kann es natürlich schon und auch vor einem Hotel parken, unklar ist allerdings, wie es sich im normalen Straßenverkehr verhalten würde. Das amerikanische Militär, Google, Mercedes, Audi und zahlreiche andere Konzerne experimentieren schon lange mit selbstfahrenden Autos und haben für den Staat Kalifornien eine Sondergenehmigung erwirkt, denn nur dort dürfen die Robo-Cars autonom fahren. Allerdings sind die vollgestopft mit Sensorik, Antennen und Messtechnik. Es wird nicht einfach werden für Mercedes, die ganze Tracking-und Scan-Technik, um Verkehrsschilder richtig zu deuten und den Verkehr akkurat einzuschätzen, in ein Auto einzubauen, in dem nur sehr wenig Platz für Antrieb und Technologie vorgesehen sind. Ohnehin wird es wohl noch bis 2025 dauern, bis wir unseren Privat-K.I.T.T aus der Tiefgarage rufen können.

 

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